Nimmt
es Wunder, daß der erste Forscher, der sich aus wissenschaftlicher
Neugierde in den Krater eines Vulkans wagte, ein Rhöner war?
1637/38 erlebte der Jesuitenpater Athanasius Kircher aus Geisa
im Ulstertal auf einer Reise mit dem hessischen Landgrafen durch Süditalien
das Aufbrodeln der "Unterirdischen Welt", so der Titel eines seiner späteren
Werke: Auf Sizilien waren sie Augenzeugen, als Ätna und Stromboli
ausbrachen, gerieten in Kalabrien in das schwerste Erdbeben seit Menschengedenken,
sahen den Untergang der Insel St. Euphemia. Als die Reisegesellschaft
Neapel erreichte, drohte auch der Vesuv auszubrechen. Eilends erklomm
der 35-jährige Forscher den Berg und seilte sich mit unerschütterlichem
Gottvertrauen in den Krater des rumorenden Vulkans ab, um sich sein eigenes
Bild zu machen.
Das
lag im Trend der Zeit. Die Wissenschaften emanzipierten sich gerade
von kirchlich-religiösen Dogmen und suchten nach vernunftgemäßen
Methoden der Welterklärung. Eigene Beobachtung sollte zur Erkenntnis
allgemeiner Naturgesetze führen. Mikroskop und Fernrohr hatten
gerade die beobachtbare Welt weit über ihre bisherigen Grenzen
hinaus erweitert, Mikrokosmos und Makrokosmos waren die großen
Themen der Zeit.
In dieser
Situation war Kircher - der vor den Wirren des Dreißigjährigen
Krieges aus Deutschland geflohen war - 1633 als Professor für Mathematik,
Physik und orientalische Sprachen an die Jesuitenuniversität nach
Rom berufen worden. Anders als viele Kollegen, die sich dem einsetzenden
Spezialistentum verschrieben, blieb Kircher Universalwissenschaftler
alter Schule, den buchstäblich alles interessierte, was sich zwischen
Himmel und Erde als Gottes Schöpfung offenbart. Besonders faszinierte
ihn das Wirken unsichtbarer Kräfte und er betrat die Bühne
der wissenschaftlichen Welt mit einer Arbeit über den Magnetismus,
in welchem er jene Kraft erkannte, die die Welt im Innersten zusammenhält.
Im magnetischen Dualismus sah Kircher das Universalprinzip, mit dessen
Hilfe sich durch Analogiebildungen die gesamte Erscheinungswelt erschließen
ließe. Von der praktischen Anwendung des Magnetismus auf den verschiedensten
Gebieten der Technik kommt Kircher auf dessen Wirken in Flora, Fauna
und Sternenwelt und spannt den Bogen bis hin zu den polaren Spannungen
in Musik und Liebe, um schließlich Gott als den zentralen Magneten
des Universums zu bestimmen, den "Universalen Magier", in welchem sich
die Bipolarität aller Dinge in der Vollkommenheit einer die Gegensätze
versöhnenden Harmonie auflöst.
Während der folgenden Jahrzehnte errichtete Kircher sein wahrhaft
barockes Gedankengebude, in welchem er das gesamte Wissen seiner Zeit
zu verarbeiten suchte, das er in über dreißig reich bebilderten
Folianten darstellte, die das Nachschlagewerk des 17. Jahrhunderts schlechthin
waren. Daß sich hierin exakte Naturerkenntnis mit magisch-mystischen
Spekulationen paarte, entsprach dem zeitgenössischen Kenntnisstand.
So lehnte Kircher den Glauben der Alchemisten an den Einfluß der
Gestirne auf chemische Prozesse ab - da die Natur immer gleich wirke
-, glaubte mit den meisten seiner Zeitgenossen aber zugleich an die
buchstäbliche Wahrheit des Alten Testamentes und datierte die Erschaffung
der Welt auf das Jahr 4053 v.Chr., Arche Noah und Turm zu Babel galten
ihm als historische Fakten.
Dabei
war Kircher nicht nur Naturwissenschaftler, Theologe und Musiktheoretiker,
der auch einen Apparat konstruierte, mit dem sich 4-stimmige Tonsätze
auf Grundlage vorgefertigter melodischer und rhythmischer Muster mechanisch
komponieren ließen - eine Art elementaren Musikcomputer also -,
Kircher war auch der führende Sprachwissenschaftler seiner Zeit.
Kaum ein anderer seiner Zeitgenossen dürfte so viele lebende wie
tote Sprachen beherrscht haben wie der bescheidene Jesuitenpater aus
der Rhön - der bis in die Goethezeit als Entzifferer der Hieroglyphen
galt! In diesem Geniestreich findet sich wie in keinem anderen seiner
Werke der Geist des Barock gebündelt, dessen künstlerische
Leistungen ja bis heute Gültigkeit haben, dessen wissenschaftliche
Errungenschaften sich aber in vieler Hinsicht als grandiose Wolkenkuckusheime
erwiesen. Kircher sah in den bildhaften Zeichen der alten Ägypter
"Offenbarungen der höchsten Mysterien" und wandte in wahrhaft genialer
Manier eine symbolische Logik an, mittels derer er komplette Texte "übersetzte",
in die er alles hineinpackte, was er über "ägyptische Weisheit,
Phoenizische Theologie, Chaldäische Astrologie, Hebräische
Kabbala, Persische Magie, Pythagoräische Mathematik" wußte,
wie er auf dem Titelblatt vermerkte. Seine "Übersetzungen" waren
so stimmig, daß kaum jemand an ihrer Gültigkeit zweifelte,
bis Champollion 1822-24 den tatsächlichen Schlüssel fand.
Die alt-ehrwürdigen Texte entpuppten sich dabei als eher profanen
Inhalts und es zeigte sich, daß Kircher einzig die waagrechte
Zickzacklinie des ägyptischen M als Zeichen für "Wasser" richtig
gedeutet hatte.
Wissenschaftsgeschichtlich wird Kircher heute - nachdem er lange als
letzter Dinosaurier mittelalterlicher Gelehrsamkeit abgetan wurde -
wieder Reverenz erwiesen als einem Forscher, der vor allem mit seinen
Überlegungen zum Magnetismus Denkansätze geäußert
hat, die seiner Zeit himmelweit voraus waren.
Schönste Würdigung dieses Rhöner Römers, der durch
eigene Beobachtung erste Grundlagen einer Vulkanismustheorie geliefert
hatte, ist die Benennung eines Mondkraters mit seinem Namen. "Wie oben,
so unten", dieser Kernsatz der magischen Lehren des Hermes Trismegistos
fand in Kircher - Zeitgenosse des Dr. Faustus - eine christliche Ausdeutung,
und heute fehlt es auch nicht an Stimmen, die seine mystische
Lesung der Hieroglyphen mit einem geheimen Hintersinn der altehrwüdigen
Zeichen in Verbindung bringen wollen...
Kircher
hat seine Rhöner Heimat nie wiedersehen dürfen, mit der er
gleichwohl in brieflichem Kontakt blieb. 1665 erwirkte er persönlich
bei Papst Alexander VII. einen Ablaß für die heutige Friedhofskapelle
seiner Heimatstadt Geisa auf dem Gangolfiberg, in welcher er getauft
worden war. Zugleich übersandte er die Reliquien von 14 Heiligen,
um Geisa ein Gegengewicht für die einsetzende Nothelferverehrung
auf dem Gehilfersberg im benachbarten Rasdorf zu verschaffen (s. Tour
17).
Anmerkung:
Dieser Text war für das Rhön-Wanderbuch
vorgesehen und mußte dann aus Platzgründen entfallen.

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